Geschichte der Erlöserkirche Bärenstein

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Die Ev.-Luth. Erlöserkirche gehört zu den ältesten Gebäuden der Ortschaft am Fuße des Bärenstein.

Ursprünglich bestand der Ort aus nur ein paar wenigen Gehöften am Hang des Berges, die alle nach Schlettau eingepfarrt waren. Das Gebiet rings um den Bärensteiner Berg gehörte zur Herrschaft Schlettau. Diese wiederum befand sich im Besitz der Schönburger auf Schloss Hassenstein und war ein böhmisches Lehen.
1413 kaufte das Kloster Grünhain die Herrschaft.
Mit neuerlichem Wechsel der Lehnshoheit kam das Gebiet um 1453 an die Wettiner und gehörte seitdem zum kurfürstlichen Sachsen.

Vor der Reformation waren die Bewohner wie überall katholisch. Eine kirchliche Besonderheit der Herrschaft Schlettau und damit von Bärenstein war deren Zugehörig-
keit zum Erzbistum Prag, was aus der einstigen Lehns-
verbindung zu Böhmen resultierte.
So erklärt es sich, dass das Gebiet bisweilen auch »böhmische Ecke« oder »Prager Zipfel« genannt wurde.
Die Einwohner der wenigen armen Gehöfte am Ort waren
an Feier-tagen, bei Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Begräb-nissen verpflichtet, die Kirche in Schlettau aufzusuchen. Aufgrund der weiten Wege besuchten sie
aber viel öfter den Gottesdienst im benachbarten Weipert, das ab 1517 eine eigene Kirche besaß.

In einem Gedenkbuch heißt es, dass die Bärensteiner auf der kurfürstlichen Seite seit alter Zeit zu Taufen, Communion und Copulation (= Trauung) nach Weipert eingepfarrt waren und dort zu Kirchenbau und Glocken beigetragen hätten.
Nach dem Bau einiger Kirchen in den Nachbarorten gingen die Kühberger nach Königswalde, die am Berg wohnenden Menschen nach Cranzahl. Diese Praxis blieb auch bestehen, als das ganze Gebiet 1529 – und mit ihm weite Teile Böhmens – evangelisch wurde.
Am Ende des 30jährigen Krieges gewann die Gegen-
reformation in Böhmen an Boden und setzte die Ausweisung evangelischer Pfarrer und das Verbot protestantischer Gottesdienste durch.
Vor die Wahl gestellt, entweder katholisch zu werden oder das Land zu verlassen, ließen bis 1658 an die 36.000 Familien – über 150.000 Personen – um ihres Glaubens willen Besitz und Heimat zurück und kamen nach Sachsen. Auch in Bärenstein stieg die Einwohnerzahl durch diesen Exulantenzug sprunghaft an. So war es verständlich, dass die Bärensteiner den Wunsch hatten, ein eigenes Gotteshaus am Ort zu errichten. Nach vielen Gesuchen erfolgte 1655 durch Kurfürst Johann Georg I. die Genehmigung zum Bau.
Der Bau der Kirche samt Pfarrhaus und Schule wurde von einer großen Bereitschaft der Einwohner getragen, die Fuhr- und andere Leistungen selbst erbringen. Nur so ist klar,
dass von der Grund-steinlegung durch den Annaberger Superintendenten und den Annaberger Bürgermeister bis
zur Einweihung der Kirche lediglich 4 ½ Monate vergingen.

Am 4. November 1655, am Sonntag nach Allerheiligen, wurde die Kirche durch den Annaberger Superintendenten geweiht und dem Salvatori (= dem Erlöser) gewidmet. Ein Jahr später war das Schulhaus und zwei Jahre später auch das Pfarrhaus fertig.
In den ersten beiden Jahren war Bärenstein zunächst noch Filial-gemeinde von Königswalde. Der erste eigene Pfarrer, Christian Schubart, kam 1657 ins Amt und Bärenstein wurde eine eigene Parochie. Im selben Jahr wurde Niederschlag eingepfarrt.
1658 folgte auch Stahlberg. Die Begründung einer eigenen Paro-chie und ihr rasches Wachstum dürfte gewiss auch der Hintergrund für eine bedeutende Gabe sein, die Bärenstein 1658 erhielt: Kurfürstin Magdalena Sibilla von Sachsen stiftete persönlich den vergoldeten Abendmahlskelch, der noch heute bei Abendmahlsgottesdiensten in Gebrauch ist.

» siehe auch Bildergalerie des Kirchenhauses

Baugeschichte der Kirche

Nachdem am 15. Juni 1655 von Superintendent und Bürgermeister der Stadt Annaberg der Grundstein gelegt worden war, stellten Bauleute und Helfer des Ortes die Kirche in nur 4 ½ Monaten fertig. Der Annaberger Rat, dem Bärenstein seit 1613 zu Lehen gehörte, stellte aus eigenen Wäldern das Bauholz zur Verfügung.
Der Grundriss der barocken Saalkirche ist symmetrisch und rechteckig, an den Kopfenden mit 3/8–Schluss.
Auf verputztem Bruchstein–Mauerwerk ruht ein Walmdach. Eine Besonderheit ist, dass es ohne jeden Nagel zusammen-
gefügt wurde. Dies galt ursprünglich auch die Sakristei, deren Decke ein Zellengewölbe ziert.

In den ersten beiden Jahren blieb das Gotteshaus noch Filialkirche von Königswalde und war spärlich ausgestattet: mit einem Tisch als Altar, ohne Orgel und Emporen.
Auch ein Turm war noch nicht vorhanden.

Ab 1729 trug sich die Gemeinde mit Gedanken zum Kirch-
turmbau. Das geht aus Annaberger Ratsakten hervor.
Bis dahin muss ein separater Glockenturm neben der Kirche gestanden haben, denn die älteste Glocke, die die Kirche besitzt, goss Großmeister Daniel Hendel schon im Jahre 1687.

1746 soll der Kirchturm in seiner jetzigen Form als Dachreiter errichtet worden sein, und mindestens eine weitere Glocke fand in ihm Platz.

Die Emporen wurden vermutlich erst um 1698 eingezogen, denn zu dieser Zeit wurden Niederschlag und Stahlberg nach Bärenstein eingepfarrt und die Zahl der Gemeindeglieder erhöhte sich um mehrere Hundert. Auch war 1698 die Orgel angeschafft worden, und dies erforderte natürlich auch eine Orgelempore.

Zunächst muss die Kirche wohl eine Kassetten–Decke besessen haben. Das legt die Art der Deckenbalken
(zu sehen auf dem Kirchboden) nahe. Wann diese glatt geputzt wurde, daran scheiden sich allerdings die Geister.
Je nachdem, ob man das Deckengemälde als barock oder klassizistisch einordnet.
Schon im Jahre 1700 erhielt die Kirche ein lebensgroßes Kruzifix. Auch eine erste Turmuhr wurde Anfang des
18. Jahrhunderts eingebaut. Doch ein Blitz, der 1729 einschlug, beschädigte die Kirche und zerstörte u.a. auch das Kruzifix. Vom Ende des 18. Jahrhunderts stammt auch der klassizistische Kanzelaltar. Der Baustil zeigt die Wertschätzung evangelischer Predigt in jener Zeit.

1895 entschied sich die Gemeinde für den Bau eines separaten Treppenhauses, der die Emporen leichter zugänglich machen sollte. Ein großes Fenster wurde dafür geopfert. Die ehemaligen Leibungen sind noch heute in
Höhe der 2. Empore gut zu erkennen.

1911 wurde die Kirche umgebaut und stilgemäß erneuert.
Ein erstes Umbauprojekt von Architekt Schleinitz, das gewaltige Änderungen vorsah, scheiterte einige Jahre zuvor an mangelnden Finanzen vor Ort. Ein Kompromiss war der Entwurf von Architekt Kandler: Die beiden Emporen wurden etwas verbreitert, die Wände frisch verputzt, der West-
aufgang angefügt und eine Dampfheizung eingebaut.
Auch die neue Orgel der Firma Jehmlich aus Dresden wurde im Zuge dieser Renovierung angeschafft.

1954/55 wurde eine erneute Renovierung und Ausmalung des Kirchenraumes vorgenommen. In jene Zeit fällt auch das Versetzen des lebensgroßen Kruzifix (neu gestiftet 1800) von der Westseite (vom Taufstein) auf den Altar. Ein Kreuzigungsbild wurde dafür entfernt, das dann über die Jahre auf dem Dachboden gelagert wurde und dort verdarb. Im Zuge des Umbaus wurde das Deckengemälde farblich »aufgefrischt«, zwei vorhandene Medaillons über Orgelempore und Altarraum weiß überstrichen.
Die Brüstungen der Emporen erhielten in dieser Zeit ihren ornamentalen Schmuck.

1992/93 erfolgte eine umfangreiche Reparatur des Kirchendaches. 2003 wurde eine grundhafte Reparatur der Jehmlich–Orgel abgeschlossen und auch das spätbarocke geschnitzte Orgel-prospekt von 1785 einschließlich der Prospektpfeifen restauriert.
2004/05 konnte eine umfangreiche Außenrenovierung der gesamten Kirche vorgenommen werden. Auch die Eingangs-
bereiche wurden neu angelegt. So zeigt sich die Kirche im Jahr ihres 350. Jubiläums Einwohnern und Gästen in neuer Pracht und lädt zu Gottesdiensten, Konzerten und zum Verweilen ein.


Die Glocken der Erlöserkirche

Nach ihrem Bau 1655 wurde die Erlöserkirche schrittweise mit Glocken ausgestattet. Man bedenke auch die Zeit: Nach dem 30-jährigen Krieg waren ganze Landstriche Deutschlands verödet, die Bevölkerung verarmt und stark dezimiert.

Ab 1729 beschäftigte sich die Gemeinde mit dem Gedanken zum Bau eines Kirchturms. Das geht aus Annaberger Ratsakten hervor. Bis dahin muss wohl ein separater Glockenturm neben der Kirche gestanden haben, weil die älteste Glocke, die die Kirche besitzt, schon 1687 gegossen wurde. Sie trägt die Inschrift »Ora pro nobis (bete für uns), Daniel Hendel goss mich anno 1687«. Ob es daneben noch weitere Glocken gab, steht zu vermuten.
Denn laut Aktenlage war die Gemeinde 1730 gezwungen, einen Teil des Geläuts wegen einer Hungersnot nach Elterlein zu verkaufen.
Der vereinbarte Preis wurde in Abschlägen entrichtet. Als dann im harten Winter die verkaufte Glocke wegen starken Frostes zersprang, büßte die Gemeinde auch noch einen Teil des Erlöses nachträglich ein. Die mittlere Glocke von 1687 und die kleine von 1714 blieben erhalten.

1746 soll der Kirchturm in seiner jetzigen Form als Dachreiter errichtet worden sein und bot den vorhandenen Glocken ausreichend Platz. 1834 kommt wieder eine große Bronzeglocke hinzu. Ihre kämpferische Inschrift
»Gottes Wort und Luthers Lehr‘ vergehen nicht und nimmer-
mehr.« erinnert noch an den Streit der Konfessionen.

Im I. Weltkrieg droht dann der Verlust aller Bronzeglocken und Ersatz durch billigen Eisenguss. Hohe Aufwendungen
für die Abnahme, die in keinem Verhältnis zu den erwarteten 725 kg Bronze stehen, sorgen immer wieder für Aufschub der Beschlag-nahme und letztliche zur Verschonung.

Von den 20er Jahren an müht sich die Gemeinde dann dennoch um ein neues Geläut. Offenbar beeindruckt das moderne, tiefe Geläut aus dem böhmischen Weipert.
Aber der Glockenfond geht durch Inflation verloren. Kirchvorsteher müssen die Gemeinde neu mobilisieren.
1932 sind die 2500 Reichsmark zusammenge-kommen.
Zwei vorhandene Glocken werden in Zahlung gegeben und umgegossen. Die mittlere und älteste von 1687, über die Jahrhunderte ausgeschlagen, wird von dem Gemeindeglied Bruno Grund aus Bärenstein gekauft, der sie der Gemeinde zum dauernden Gedächtnis stiftet und sie als Denkmal auf dem Friedhof aufstellt, wo sie bis September 2005 gestanden hat.

Am 10. Juli 1932 werden drei neue Glocken, auf As–Dur gestimmt und stattliche 950 kg schwer, festlich geweiht. Glocken von solchem Gewicht, wie sie allerorts inzwischen
in Mode gekommen sind, passen eigentlich nicht in den kleinen Dachreiter hinein. Nur die Aufhängung in gekröpften Jochen, die die Glocken um deren eigene Achse drehen lassen, ermöglichen das Läuten.
Doch lange kann sich die Gemeinde nicht am Klang der neuen Glocken freuen: 1940 beginnt sich die deutsche Kriegswirtschaft für Bronze zu interessieren. Am 2. Advent 1941 erklingt das volle Geläut zum letzten Mal. Nur die kleine Glocke (dis‘‘) bleibt hängen. Ohnehin ist Läuten bei Dunkelheit nun verboten, »um die Luftabwehr nicht zu beeinträchtigen.« Die ausgesonderte Hendel–Glocke von 1687 auf dem Friedhof wird anscheinend vergessen und überlebt wie durch ein Wunder.

Ab 1947 bemüht sich die Gemeinde um Ersatz der verlorenen Glocken. Bronze ist im Osten Deutschlands aber nicht zu bekommen. Aus Gründen der Harmonie wird zunächst ein komplettes Geläut aus Eisenhartguss erwogen. 700 kg Schrott werden aufgetrieben, der Abgabeschein 1948 an die Glockengießerei nach Apolda geschickt, wo nach Vorlage einer Ausnahme-genehmigung der Landesregierung zwei Stahlglocken gegossen wurden. Die Kosten dafür tragen zwei Bärensteiner Familien.
Am 23. Januar 1949 werden die Glocken geweiht. Auch sie hängen in gekröpften Jochen in der Laterne des Turms. Seither ruft ein Mischgeläut aus zwei Stahlglocken und einer kleinen Bronzeglocke, gestimmt auf h‘‘ – dis‘‘ – fis‘‘, reparaturbedürftig und noch immer von Hand bewegt, zu Gebet und Gottesdienst.

Seit 2003 bemüht sich die Kirchgemeinde um die Rekonstruktion eines angemessenen neuen Bronzegeläuts, das die Wunden der Kriege nach 60 Jahren schließen hilft. Die Planungen sehen ein vom Gewicht wieder etwas kleineres Geläut vor, welches der Statik des Turmes entspricht. Da gekröpfte Glockenjoche heute nicht mehr verbaut werden, ist auch hier eine »natürliche Grenze« bezüglich des Gewichts gegeben. Nach denkmalpflegerischen Überlegungen sollte nun auch die vorhandene und älteste Bärensteiner Glocke von 1687 (gestimmt auf cis‘‘), von deren Schöpfer Hendel es in Sachsen nur noch wenige gibt, wieder ihren Platz auf dem Turm der Erlöserkirche finden. Bohrungen und Ausbrücke werden repariert, so dass die vermutlich erste Bärensteiner Glocke auch in Zukunft die Gemeinde durch Fest- und Alltag begleiten wird.

Am 8. Dezember 2006 wurde in der Kunstgießerei Lauchhammer eine neue Bronzeglocke gegossen. Für 30 angereiste Bärensteiner war dies ein sehr eindrückliches Erlebnis. Die neue Glocke – auf ais‘ gestimmt – trägt die Inschrift „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ , wiegt 425 Kilogramm und hat 8.600 € gekostet. Sie löst die große Stahlglocke mit gleicher Inschrift, einem Vers aus dem Jeremia–Buch, ab.

Passend zum Neuguß gehört auch die historische Bronzeglocke aus dem Jahr 1687 von Daniel Hendel zum neuen Geläut. Sie hatte über Jahrzehnte ein kümmerliches Dasein auf dem Friedhof gefristet und wurde 2005 für 3.000 € im Spezialbetrieb Lachenmeyer in Nördlingen restauriert. Sie ist auf cis‘‘ gestimmt, wiegt 175 Kilogramm und trägt die Inschrift »Ora pro nobis« (Bete für uns!).

Beide Glocken wurden im Festgottesdienst am 14. Januar festlich geweiht.

Am Fastnachtsdienstag 2007 wurden mit einem Spezialkran die alten Glocken aus der Turmlaterne gehoben. Danach begannen die Arbeiten am neuen Glockenstuhl und wurden bis kurz vor Ostern abgeschlossen. Nach Einbringen der beiden neuen Glocken in den Turm war das neue Geläut erstmals zur Konfirmation 2007 mit neuem Klang zu hören. Ein elektrischer Antrieb und die automatische Steuerung folgten in den nächsten Wochen.

» siehe auch Bildergalerie der Glockenweihe
»
siehe auch Predigt zur Glockenweihe

Die Jehmlich–Orgel der Erlöserkirche

Die Bärensteiner Kirche wurde 1655, in den Folgejahren nach dem 30-jährigen Krieg gebaut. Beachtet man die Tatsache, dass zu jener Zeit weite Landstriche Deutschlands verwüstet, Dörfer von der Landkarte getilgt, die Bevölkerung nach Plünderungen, Hungersnöten und Seuchen verarmt
und erheblich gesunken war, ist ein Kirchenneubau um so beachtlicher. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die erste Orgel, die die Bärensteiner Kirche erhielt, erst 1698 – also 40 Jahre nach der Kirchweihe – eingebaut wurde.

Die erste Orgel stammte aus dem für seinen Silberbergbau be-kannten, doch auch in Schnitzerei und Kunst florierenden
St. Joachimsthal in Böhmen. Sie hatte 500 Taler gekostet und war etwa 200 Jahre in Benutzung.

1785 wurde die bestehende Orgel vom Schwarzenberger Meister Christian David Hausdörfer umgebaut und erweitert. Hausdörfer schnitzte auch den spätbarocken Prospekt, der noch heute die Orgel schmückt. 1837 wurde das Instrument durch Orgelbauer Gruber repariert.

Die heutige Orgel, bei der das spätbarocke Prospekt wieder Verwendung fand, entstammt der Werkstatt der Dresdener Orgelfirma Jehmlich. Das Instrument hat zwei Manuale und ein Pedal und weist mit 27 klingenden Registern ein gutes Klang-spektrum auf. Das Orgelwerk hat sogenannte Kegelladen
mit pneumatischer Traktur. Dies bedeutet: Der Weg von der Orgeltaste bis zur Windlade mit den Pfeifen wird selbst über Ventile mit Wind aus dem Gebläse gesteuert. Diese Art der Steuerung ist ein Zwischenschritt von der rein mechanischen Steuerung mittels Traktur (Stäben und Gelenken) zur elektronischen Steuerung, wo ein Relais die einzelne Pfeife steuert.
Die pneumatische Steuerung erleichtert das Spielen im Gegensatz zur mechanischen Traktur ganz erheblich.
Einer der Nachteile ist allerdings die Anfälligkeit für technische Mängel.

Der Lauf der Zeit, aber auch unaufschiebbare Baumaß-
nahmen im Innenraum der Kirche, hatten zu erheblichen Staubablagerungen auch im Pfeifenwerk geführt.
So entschied sich der Kirchenvor-stand im Jahr 2002 zu einer grundhaften Restaurierung der Jehmlich–Orgel.
Die Reparatur zog sich über zwei Jahreshälften.
Dabei wurde das gesamte Pfeifenwerk ausgebaut und gereinigt, beschädigte Metallpfeifen instandgesetzt,
sämtliche Holzpfeifen durchgesehen, neu abgedichtet
und die Manualtasten neu unterlegt. Auch wurden Ventile
der pneumatischen Traktur erneuert und etliche Töne,
dem heutigen Klangbild entsprechend, neu hinzugefügt.
Zum Abschluss stifteten zwei Bärensteiner Familien noch eine moderne verstellbare Orgelbank, die unterschiedlich großen Organisten das Spielen erheblich erleichtert.
Die Gemeinde wendete für die Gesamtreparatur über 15.000 Euro auf und freut sich, wenn die »Königin der Instru-
mente« in Gottesdiensten sowie Konzerten zum Lobe
Gottes erklingt und Menschen erfreut.

Krieg und Frieden – Spuren in der Kirche

Warum diese Kirche öffnen – am Tag des offenen Denkmals zum Thema »Krieg und Frieden«? Weil diese Kirche sich dem Ende eines Krieges und dessen gewaltsamen Folgen verdankt:
Im Zeitalter der Glaubensspaltung geht ein Riss durch Europa, auch durch die Erzgebirgsregion. Im ernestinischen Sachsen setzt sich die Reformation durch, und mit dem ersten evangelischen Pfarrer in Schlettau wird auch das Gebiet um den Bärenstein 1529 evangelisch. Die Bärensteiner entdecken das hohe Gut evang-elischer Predigt in Königswalde und in Cranzahl. Auch in Böhmen breitet sich der evangelische Glaube aus. Die Bevölkerung Bärensteins konnte ab 1551 auch in das neue evangelische Kirchlein nach Weipert gehen, zu Ehren Luthers »Martinskirche« genannt.

Doch im 30-jährigen Krieg und danach beginnt die Zeit der Vertreibungen. Die böhmische Seite, die zum Habsburger Reich gehört, wird konsequent und getreu der Formel »cuius regio, eius religio« (wem das Land, der bestimmt die Religion) re-katholisiert, und die sich neu formierende Staatsgewalt vermag das auch durchzusetzen. Evangelische Pfarrer werden ausgewiesen. Der letzte evangelische Pfarrer von Weipert verlässt 1625 Böhmen, das Gotteshaus wird katholisch und später zur Friedhofskapelle umfunktioniert. Mehr als 36.000 Familien – über 150.000 Personen – verlassen um des evangelischen Glaubens willen ihre Heimat, lassen ererbten Besitz zurück und finden in Sachsen ein neues Zuhause. Neue Siedlungen entstehen entlang der Grenze, die Dörfer Stahlberg, Niederschlag und auch Bärenstein entstehen im Strom der Exulanten oder wachsen deutlich an.

Der Wunsch nach einer eigenen evangelischen Kirche ist da verständlich. So wird in Zeiten, wo Bevölkerung vielfach abge-nommen hatte, wo Not und Armut um sich greifen, am Bärenstein eine neue Kirche errichtet. Menschen übernehmen neben alltäg-licher Arbeit freiwillige Dienste und ziehen in 4 ½ Monaten ihr eigenes Kirchlein hoch. So ist das Denkmal »Erlöserkirche Bärenstein« auch Ausdruck des Neuanfangs nach Krieg und Vertreibung, Ausdruck des Gestaltungswillens und der Bejahung der Zukunft.

Auch an vielen Stellen der Ausstattung zeigt die Erlöserkirche bis heute Spuren von »Krieg und Frieden«:
Der Abendmahlskelch, 1658 von Kurfürstin Magdalena Sibilla persönlich für die neue Parochie Bärenstein gestiftet, wird bei der Plünderung Bärensteins im Bayrischen Erbfolgekrieg 1727 von kaiserlichen Kroaten geraubt. Zwar wird er wenig später bei Schlettau wiedergefunden, seine Edelsteine waren aber heraus gebrochen und blieben verloren. Die Spur jenes Krieges ist so beständig präsent – in jeder Abendmahlsfeier, in der der Kelch bis heute Verwendung findet.

Im I. Weltkrieg bangt die Kirchgemeinde um ihre Bronzeglocken. Nur der hohe Aufwand beim Bergen der relativ kleinen Glocken sorgt für Aufschub. Im 2. Weltkrieg gewährt die deutsche Kriegswirtschaft keine solchen Ausnahmen mehr. Am 2. Advent 1941 erklingt das volle Geläut, das erst 1932 geweiht worden war, zum letzten Mal. Nur die kleinste Glocke bleibt hängen. Ohnehin ist Läuten bei Dunkelheit nun verboten, »um die Luftabwehr nicht zu beeinträchtigen.« Die ausgesonderte Hendel–Glocke von 1687 auf dem Friedhof wird offenbar nur vergessen und überlebt so wie durch ein Wunder.

Doch nicht nur zwei Glocken wurden beschlagnahmt: Auch das Standbild des auferstandenen Christus – hoch oben auf dem Kanzelaltar – war ursprünglich aus Bronze, und der Taufstein trug bis 1941 eine bronzene Haube. Sie wurde zusammen mit zwei schweren Leuchtern vom Altar und der Christus–Figur zum Einschmelzen geopfert. Ein Bärensteiner schnitzte die Christusfigur nach Kriegsende nach und ersetzte so die eine Lücke.

Vor 61 Jahren, am 11. September 1944 bei einem Luftkampf über Bärenstein, wird die Kugel auf dem Kirchturm getroffen und beschädigt. Ihr späterer Absturz beschädigt das Kirchendach, in der Folge wird auch das Gebälk durch Regenwasser angegriffen. Erst 1988 konnten die Schäden behoben, Kugel und Wetterfahne erneuert werden. Da unter der Mangelwirtschaft im Osten Deutschlands auch jede Anschaffung von Bronzeglocken ausgeschlossen ist, sieht sich die Gemeinde gezwungen, zwei Jahre nach Kriegsende 700 Kilo Schrott aufzutreiben und gegen Abgabeschein zwei Stahlglocken gießen zu lassen. So gemahnt deren »scheppernder« Klang auch 60 Jahre nach Kriegsende der Zeiten von »Krieg und Frieden«.


 


Marcel Drechsler - Mediendesigner | www.marcel-drechsler.de

Partnergemeinde St. Martin Gemeinde - Hannover-Anderten